Wie ein Raspberry Pi zum Industrie-PC wird

Wir haben mit Dr. Michael Kleiner, VP Engineering beim Industrie-PC-Spezialisten OnLogic über eine Neuentwicklung auf Basis des Raspberry Pi gesprochen.

  • von OnLogic
  • März 7, 2022
  • 21718 views
  • Dr. Michael Kleiner, VP Engineering bei OnLogic
    Dr. Michael Kleiner, VP Engineering bei OnLogic
  • Wie ein Raspberry Pi zum Industrie-PC wird
    Wie ein Raspberry Pi zum Industrie-PC wird
  • Auf DIN-Rail montierter Factor 201
    Auf DIN-Rail montierter Factor 201

IEN D-A-CH: Der Firmenname OnLogic ist (noch) nicht allen Anwendern im deutschsprachigen Markt ein Begriff. Können Sie unseren Lesern kurz einige Informationen zur Firmenentwicklung und dem Produktportfolio geben?
Dr. Michael Kleiner:
OnLogic begann kurz nach der Gründung im Jahr 2003 mit der Entwicklung und Herstellung industrieller Computerhardware. Wir haben uns auf lüfterlose Systeme mit kleinem Formfaktor spezialisiert. Sie sind so konstruiert, dass sie dort bestehen, wo andere Computer versagen. Zu unseren Kunden auf der ganzen Welt gehören die bekanntesten Innovatoren und Branchenführer in den Bereichen Fertigung, Energiemanagement, intelligente Landwirtschaft, Smart-City-Technologie, Logistik, Transport und Automatisierung jeder Art.
Unsere Computer reichen von handtellergroßen IoT-Gateways und extrem verlässlichen Rugged-Geräten bis hin zu Touchscreen-HMIs und modernen Edge-Servern. Unser Ziel ist es, unsere Kunden bei der Lösung ihrer komplexesten technologischen Herausforderungen mit qualitativ hochwertiger Hardware zu unterstützen. Seit 2011 bedienen wir den gesamten europäischen Markt von unserem europäischen Hauptsitz in den Niederlanden aus. Wir stellen immer wieder fest, dass renommierte deutsche Kunden auf der Suche nach Lösungen für ihre Technologieanforderungen bereits zu uns gefunden haben. Daher haben wir unsere Präsenz auf dem deutschen Markt ausgebaut und unser Team deutschsprachiger Hardwarespezialist:innen vergrößert.

IEN D-A-CH: Sie bereiten aktuell den Produktlaunch Ihrer IPC-Lösung auf Basis des Raspberry Pi 4 vor. Welche Eigenschaften des Raspberry Pi qualifizieren ihn für dieses anspruchsvolle Einsatzgebiet?
Dr. Michael Kleiner
: Unser demnächst erscheinender Factor 201 ist eine industrielle Computerlösung, die auf dem industriegerechten Raspberry Pi Compute Module 4 basiert. Für die meisten unserer Industriekunden reicht es nicht aus, einen herkömmlichen Raspberry Pi in ein Verbraucher-Gehäuse einzubauen, um langfristige Verlässlichkeit und den Erfolg des Projekts zu gewährleisten. Wir haben das Raspberry Pi Compute Module 4, das über die gleiche Rechenleistung wie der Raspberry Pi 4, aber keine der I/O verfügt, mit unserem eigenen Carrier-Board und einem speziell dafür entwickelten Industriegehäuse kombiniert. Damit bieten wir eine echte Lösung auf IPC-Niveau. Der Raspberry Pi ist aufgrund seiner geringen Kosten und seines niedrigen Stromverbrauchs im industriellen Bereich sehr beliebt. Es gibt zwar auch andere kostengünstige Lösungen auf dem Markt, jedoch profitiert der Raspberry Pi von seiner leidenschaftlichen Entwicklergemeinde, die eine umfangreiche Dokumentation erstellt. Außerdem hat sie die Leistungsfähigkeit der Plattform durch reale Implementierungen in industriellen Anwendungen gezeigt.

IEN D-A-CH: Welche Änderungen und Modifikationen nehmen Sie vor, um die langfristige Einsatzfähigkeit in der Anwendung gewährleisten zu können?
Dr. Michael Kleiner:
OnLogic ist bekannt für seine lüfterlosen Industrie-PCs. Wir setzen unsere jahrelange Erfahrung und unser Wissen in Form unseres Carrier-Boards und des Industriegehäuses ein, um das Potenzial des Raspberry Pi für den Einsatz in der Industrie auszuschöpfen.

Beginnen wir außen. Das Gehäuse ist sowohl lüfterlos als auch frei von Belüftungsöffnungen, abgesehen von Ports, die allerdings mittels Port-Blocking-Kit verschlossen werden können, falls unbenutzt. So wird der Eintritt von Staub und Schmutz vermieden, der in einer industriellen Umgebung häufig vorkommt. Dies wird durch die neueste Entwicklung unserer Hardshell™-Fanless-Technologie erreicht. Das Aluminiumgehäuse verbessert die Stabilität der Gerätestruktur und leitet die Wärme direkt von den internen Komponenten an die Außenseite des Gehäuses ab – ohne Lüfter. Bewegliche Teile sind eine häufige Schwachstelle und können bei einem Lüfterausfall das Wärmemanagement des gesamten Systems beeinträchtigen. Abschließend haben wir eine DIN-Schienenhalterung direkt am Gehäuse integriert, um die Installation in Embedded-Anwendungen zu erleichtern.

Im Inneren des Factor 201 ist das Raspberry Pi CM4-Modul mit unserem speziell dafür entwickelten Carrier-Board verbunden. Das System unterstützt bis zu 8 GB Arbeitsspeicher und 2 TB Speicherplatz sowie optionale Funktionen wie Wi-Fi, 4G LTE mit Vorkehrungen für künftige 5G-Unterstützung und TPM 2.0 für zusätzliche Sicherheit. Der Factor 201 ist in der Lage, bei Temperaturen von -20° bis 60°C verlässlich zu funktionieren. Gleichzeitig bietet er die Konnektivität, die unsere Kunden benötigen. Dazu gehören zwei 1-GbE-LAN-Ports, ein USB-3.2-Port, zwei USB-2.0-Ports, ein HDMI-Port, ein USB-C-Port (für OTG) und eine RS-232/422/485-Anschlussleiste. Wir werden auch die Möglichkeit bieten, das gesamte System über POE-PD mit Strom zu versorgen. Das bedeutet, dass einige Anwendungen nur ein einziges Kabel für die Installation und den Betrieb benötigen.

IEN D-A-CH: Wie beurteilen Sie die Software-Versorgung für den industriellen Bereich? Die passende, funktionsreiche Software und auch deren Bedienerfreundlichkeit wird ja immer wichtiger als Schnittstelle zum Nutzer/Anwender?
Dr. Michael Kleiner:
Die große Vielfalt an Software, die bereits für den Raspberry Pi verfügbar ist, war einer der Gründe, warum wir daran interessiert waren, ein industrielles Produkt auf dieser speziellen ARM-Architektur zu entwickeln. Software spielt bei den Prozessen, die unsere Hardware-Lösungen ermöglichen, eine entscheidende Rolle. Wir schätzen Software so sehr, dass wir mit Branchenführern wie IGEL, AWS und Inductive Automation zusammenarbeiten. So können wir die Kompatibilität mit unserer Hardware überprüfen und vor der Auslieferung Software-Images auf unseren Systemen vorinstallieren. Wir sind der Meinung, dass die Erschwinglichkeit und Flexibilität des Factor 201 sowie zukünftiger CM4-basierter Lösungen unseren Softwarepartnern ermöglicht, gemeinsamen Kunden eine kostengünstige Industrie-Computerlösung zu bieten.

IEN D-A-CH: Wie sehen Sie die Entwicklung und Verbreitung für den industriellen Raspberry Pi in den kommenden Jahren? Wo werden die Haupteinsatzgebiete sein?
Dr. Michael Kleiner:
Wir gehen davon aus, dass der Raspberry Pi und andere ARM-basierte Prozessorplattformen auch in naher Zukunft ein starkes Wachstum verzeichnen werden – insbesondere bei Anwendungen zur Datenerfassung, in denen traditionell SPSen und RTUs (Remote Terminal Units) eingesetzt werden. Es ist spannend, darüber nachzudenken, wie viele Verfeinerungen von Prozessen möglich sein werden, wenn grundlegende Datenerfassungspunkte durch vernetzte Hardware ersetzt werden können, die eine intelligente Datenverarbeitung bietet. Viele unserer Kunden erstellen und implementieren komplette Anlagen oder rüsten diese nach. Der Factor 201 sowie unser kommender Factor 202 und die anderen ARM-basierten Gateways, die wir voraussichtlich in Zukunft anbieten werden, können in vielen Bereichen eingesetzt werden. Die kompakte Größe und die Anpassungsmöglichkeiten des Raspberry Pi eröffnen praktisch unbegrenzte Anwendungsmöglichkeiten.

Die niedrigeren Kosten und die Energieeffizienz des Raspberry Pi in Kombination mit dem lüfterlosen, kompakten Design, der großen Bandbreite und den Konnektivitätsoptionen des Factor 201 ermöglichen große dezentrale Edge-Bereitstellungen in anspruchsvolleren Umgebungen. Allerdings ist das Wachstum bei ARM-Technologien nicht unabhängig von x86 zu sehen. Wir sehen auch ein Wachstum bei der x86-Verarbeitung voraus, da mehr Rechenleistung näher am Edge benötigt wird. Dadurch werden die Datenverarbeitung vor Ort, industrielle Automatisierung und Machine Vision in Echtzeit ermöglicht.

IEN D-A-CH: Vielen Dank für das Interview!