Industrie 5.0: Der Mensch steht im Zentrum

Wir haben mit Marco Zampolli, Sales Director IoT Automation Products bei Advantech, über Trends in modernen Fabrikautomatisierungskonzepten gesprochen.

  • Marco Zampolli, Sales Director IoT Automation Products bei Advantech. Bild: Advantech
    Marco Zampolli, Sales Director IoT Automation Products bei Advantech. Bild: Advantech
  • Eine Flotte mobiler Roboter erhöht die die Flexibilität, um Materialien zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu liefern. Bild: Advantech
    Eine Flotte mobiler Roboter erhöht die die Flexibilität, um Materialien zur richtigen Zeit an den richtigen Ort zu liefern. Bild: Advantech

IEN D-A-CH: Welches Wachstum wird für die Automatisierung von intelligenten Fabriken in den kommenden Jahren erwartet?
Zampolli:
Laut Mordor Intelligence wird die Größe des globalen Marktes für intelligente Fabriken heute auf 354,60 Mrd. USD geschätzt und soll bis 2029 564,38 Mrd. USD erreichen, mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate (CAGR) von 9,74 %. Ich denke, das zeigt eindeutig, wohin sich die Industrie in den nächsten fünf Jahren entwickeln wird, wobei Industrie 5.0 im Mittelpunkt dieses Wachstums steht.

IEN D-A-CH: Was genau verbirgt sich hinter dem Konzept der Industrie 5.0?
Zampolli
: Nach dem Industrie 4.0 Konzept, das durch die Automatisierung und den Datenaustausch in der Fertigungstechnik gekennzeichnet ist, zeichnet sich ein neues Paradigma ab: Industrie 5.0. Diese nächste Phase stellt eine Verlagerung von den rein automatisierten Prozessen der Industrie 4.0 zu einem stärker integrierten Ansatz dar, der die Stärken sowohl der menschlichen Kreativität als auch der Maschineneffizienz nutzt. Der Robotermarkt ist ein gutes Beispiel für den Übergang zur Industrie 5.0. Industrieroboter gibt es schon seit Jahrzehnten, aber jetzt haben wir kollaborative Roboter (Cobots), bei denen Roboter und Menschen Seite an Seite arbeiten können.

IEN D-A-CH: Welches sind neben der Menschenzentrierung die anderen Grundpfeiler von Industrie 5.0?
Zampolli:
Die anderen Säulen sind operative Belastbarkeit und Nachhaltigkeit. ESG („Environmental, Social and Governance“) ist im Moment ein heißes Thema. Ein Teil ist ökologisch, ein anderer sozial. Wenn wir diese Bereiche zusammennehmen, steht der Mensch wieder im Mittelpunkt der Bemühungen um eine effektive ESG. Durch die Optimierung der Ressourcennutzung und die Verringerung der Verschwendung unterstützt die Industrie 5.0 die Ziele der Nachhaltigkeit.

Ein ähnliches Konzept gilt für die betriebliche Widerstandsfähigkeit. Die Integration menschlicher Fähigkeiten mit maschineller Präzision macht Produktionssysteme anpassungsfähiger und widerstandsfähiger gegen Störungen. Produktionsanlagen müssen Effizienz und Qualität zu wettbewerbsfähigen Kosten erreichen. Was aber, wenn ein Teil der Lieferkette nicht so funktioniert, wie er sollte? Das haben wir bei unvorhergesehenen Ereignissen wie der Pandemie und dem Suezkanalproblem im Jahr 2021 gesehen. Man kann nicht alles vorhersehen - die Welt ist nicht binär, sie ist unglaublich komplex. Wenn man allen Herausforderungen standhalten will, braucht man immer eine Richtlinie zur Risikominimierung, bei der der menschliche Beitrag an erster Stelle steht.

IEN D-A-CH: Werden sich cyber-physische Systeme als Teil von Industrie 5.0 weiterentwickeln?
Zampolli:
Die Interaktion von Systemen mit dem physischen (menschlichen) Teil der Welt gewinnt immer mehr an Zugkraft. Der bereits erwähnte Cobot ist ein bemerkenswertes Beispiel. Heute wird die Integration zu einem viel größeren Teil der Lösung.

Das Ende der Reise ist der digitale Zwilling. Ein digitaler Zwilling kann die Leistung eines cyber-physischen Systems überwachen und Erkenntnisse zur Optimierung seines Betriebs und zur Vorhersage möglicher Ausfälle liefern. Die zwei Bereiche sind miteinander verbunden und die Beziehung ist wirklich sehr eng.

IEN D-A-CH: Wie sieht es mit Produkten und Dienstleistungen aus?
Zampolli:
Die Industrie 5.0 ermöglicht eine noch stärkere Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen. Dank fortschrittlicher Technologien können die Hersteller die individuellen Kundenbedürfnisse effizienter erfüllen und werden dabei von Lieferketten unterstützt, die reaktionsschneller und dezentraler sind.

IEN D-A-CH: Auf welche Technologien beziehen Sie sich dabei?
Zampolli:
Es gibt mehrere, aber wir können uns auf drei konzentrieren, die durch eine stärkere Integration mit dem Menschen einen wichtigen Beitrag zur Industrie 5.0 leisten: KI, IoT und Cybersicherheit. KI-Algorithmen helfen bei der Entscheidungsfindung, der vorausschauenden Wartung und der Optimierung von Produktionslinien, während IoT-Geräte Daten aus vielen Quellen sammeln und analysieren und so intelligentere und reaktionsschnellere Fertigungssysteme ermöglichen. Und dann ist da noch die Cybersicherheit. Mit zunehmender Konnektivität steigt auch das Risiko von Cyberangriffen. Robuste Cybersicherheitsmaßnahmen sind unerlässlich, wenn wir sensible Daten und Systeme erfolgreich schützen wollen.

IEN D-A-CH: Wie Sie bereits erwähnt haben, ist Flexibilität einer der Schlüssel in modernen Automatisierungskonzepten. Welche Rolle spielt dabei die Virtualisierung?
Zampolli:
Die Virtualisierung entwickelt sich zu einem Eckpfeiler der modernen Automatisierung und revolutioniert die Art und Weise, wie Branchen ihre Prozesse verwalten und optimieren. Durch die Abstrahierung physischer Ressourcen und die Schaffung virtueller Umgebungen wird die Virtualisierung zu einer transformativen Technologie, mit der die Effizienz und Skalierbarkeit von Automatisierungssystemen verbessert wird. Die Visualisierung ermöglicht es Herstellern außerdem, effektiver auf veränderte Anforderungen zu reagieren.

Bei der Virtualisierung in der Automatisierung werden virtuelle Versionen von physischen Komponenten wie Steuerungen, Switches und HMIs erstellt. Auf diese Weise können mehrere virtuelle Maschinen (VMs) auf nur einer physischen Maschine ausgeführt werden, wodurch die Ressourcennutzung optimiert und die Kosten gesenkt werden. Vereinfacht gesagt, erleichtert die Virtualisierung die Entwicklung und den Einsatz von automatisierten Prozessen auf eine flexiblere und effizientere Weise.

IEN D-A-CH: Was sind die wichtigsten Vorteile der Virtualisierung in der Automatisierung?
Zampolli:
Der erste ist die Ressourcenoptimierung, wie bereits erwähnt. Dies führt zu erheblichen Kosteneinsparungen und verbesserter Effizienz. Virtualisierung verbessert auch die Disaster Recovery-Fähigkeiten, indem sie schnelle Backups und Wiederherstellungen von VMs ermöglicht. Darüber hinaus gewährleistet sie eine hohe Verfügbarkeit durch automatisierte Ausfallsicherung.

Ein weiterer Vorteil der Virtualisierung ist die Vereinfachung der Verwaltung von Automatisierungssystemen durch die Zentralisierung der Steuerung und Überwachung. Diese Fähigkeit reduziert die Komplexität der Wartung mehrerer physischer Geräte. Und dann ist da noch die Skalierbarkeit. Virtuelle Umgebungen lassen sich leicht je nach Bedarf vergrößern oder verkleinern.

IEN D-A-CH: Welche Technologien liegen der Virtualisierung in der Automatisierung zugrunde?
Zampolli:
Es gibt viele Technologien, aber lassen Sie uns auf drei Schlüsseltechnologien konzentrieren: Hypervisoren, Containerisierung und Orchestrierungswerkzeuge. Hypervisoren sind die Softwareschichten, die es ermöglichen, mehrere VMs auf einer einzigen physischen Maschine auszuführen. Dann gibt es noch die Containerisierung, wie bei Docker und Kubernetes die durch die Kapselung von Anwendungen ermöglichen. Wir benötigen auch Orchestrierungstools, die die Bereitstellung, Skalierung und Verwaltung von containerisierten Anwendungen automatisieren und einen nahtlosen Betrieb in virtuellen Umgebungen ermöglichen.

Durch die Verringerung des Verwaltungsaufwands, die Erhöhung der Skalierbarkeit und die Senkung der Kosten wird die Virtualisierung zu einer tragenden Säule der modernen industriellen Automatisierung.