Infrarot bei 120 km/h

Thermografie zur Instandhaltung bei Kettenfahrleitungen

  • Infrarot bei 120 km/h
    Infrarot bei 120 km/h
  • Infrarotkamera auf dem SNCF-Testwaggon
    Infrarotkamera auf dem SNCF-Testwaggon
  • Im Innern des Testwaggons: Die Software FLIR Researcher im Einsatz
    Im Innern des Testwaggons: Die Software FLIR Researcher im Einsatz
  • Wärmebild einer Oberleitung
    Wärmebild einer Oberleitung
  • Kamera im Gehäuse
    Kamera im Gehäuse

Die staatliche französische Eisenbahngesellschaft SNCF setzt die Thermografie im Bereich Instandhaltung ein und untersucht Kettenfahrleitungen mit einer Infrarotkamera bei einer Geschwindigkeit von 120 km/h.   Die SNCF setzt die Thermografie intensiv ein, um die Funktionsfähigkeit ihres weitläufigen Strom- und Signalnetzes sicherstellen zu können. Derzeit wird mit einer auf einen Testwaggon montierten Kamera von Flir Systems auch die Möglichkeit getestet, mittels Thermografie die mehr als 20.000 km langen Oberleitungsdrähte zu untersuchen.   Die SNCF ist eines von Europas größten öffentlichen Transportunternehmen mit 33.000 km Schienen. Davon sind mehr als 1500 km Hochgeschwindigkeitsschienen für den TGV, Europas erstem kommerziellem Hochgeschwindigkeitszug. Das staatliche Unternehmen verwendet die Thermografie für Wartungszwecke, um seine Signalanlagen und Trafostationen zu untersuchen.   Fünfundzwanzig Infrarotkameras im Einsatz
Nach einer Testinspektion von Signalschalttafeln begann die SNCF, die Infrarot-Thermografie in großem Maßstab einzuführen. Eine 2001 in der Region Straßburg durchgeführte Untersuchung deckte auf, dass bis zu 45% der Anlagen ernsthafte Schäden aufwiesen. Dieses Ergebnis veranlasste die SNCF, vier Kamerasysteme des Typs PM 695 von Flir Systems zu erwerben, einem Vorläufermodell der aktuellen P660, sowie zehn Thermografen auszubilden.  
Überzeugt von den Vorteilen der Thermografie erwarb die SNCF fünfundzwanzig handgehaltene IR-Kameras für ihre regionalen Instandhaltungsdienste. Mehr als 80 SNCF-Mitarbeiter setzen mittlerweile die Thermografie täglich bei ihren Inspektionen ein.   Neue Anwendungen in Sicht
Die verantwortlichen SNCF-Mitarbeiter im Bereich Instandhaltung sahen sich schnell ganz neuen Problemen gegenüber. Sie beobachteten, dass sich die Oberleitungen einer der Hauptstrecken im Großraum Paris oftmals überhitzten und sich dabei so sehr ausdehnten, dass sie fast die Waggons berührten. Zunächst vermutete das Instandhaltungsteam, dass dieses Phänomen auf den dichten Verkehr auf der viel befahrenen Strecke zurückzuführen sei. Doch auch eine Verstärkung der Aufhängung des Systems und der Zuleitungen konnte das Durchhängen der Leitungen nicht lösen.   Darum beschloss Gerard Millot, Experte für die Instandhaltung der Kettenfahrleitungen bei der SNCF, die Thermografie ins Spiel zu bringen, um sich ein Bild vom Erwärmungsmuster der überhitzten Oberleitungen zu machen. Aber wie ein klares und aussagekräftiges Bild des Erwärmungsmusters bei so vielen Kilometern Oberleitung bekommen? Die Sache wurde immer drängender, da die SNCF mehr als dreißig Ausfälle pro Jahr aufgrund von überhitzten Kettenfahrleitungen registrieren musste. “Es spielte sich immer dasselbe ab”, sagt Gerard Millot.“ Die ausgefallenen Anschlüsse verursachten eine Überhitzung des Fahrdrahts. Dieser wiederum begann sich auszudehnen, verlor an Spannung und fing an durchzuhängen. Schlimmstenfalls verfing er sich im Stromabnehmer der Lokomotive. Der Zug hielt an, und die Strecke war blockiert. Die Reparatur von Oberleitungen dauert ihre Zeit, und die Folgen auf viel befahrenen Strecken zur Hauptverkehrszeit kann man sich ausmalen.“   Erste Messversuche ergaben, dass die Kamera auf einen Waggon montiert sein muss, wenn man eine zufriedenstellende Sicht auf die Erwärmung der Oberleitungen haben will. Die SNCF-Ingenieure fanden ebenfalls heraus, dass die Infrarotkamera auf einen speziell konstruierten Testwaggon angebracht werden muss, der den elektrischen Strom konstant und ohne Unterbrechungen vom Fahrdraht abnimmt.   Tests liefern Ergebnisse
Aus der Kooperation der beiden SNCF-Abteilungen für Instandhaltung und Forschung ist ein Testwaggon hervorgegangen, der in einer ersten Testreihe auf einer vielbefahrenen Strecke zwischen dem Pariser Bahnhof Austerlitz und der Station Les Aubrais, einem wichtigen Schienen-Knotenpunkt in der zentralfranzösischen Region Orléans, eingesetzt wurde. Geschützt in einem speziellen Gehäuse, das an einem Testwaggon befestigt war, welcher mit einer konstanten Geschwindigkeit von 120 km/h fuhr, hat eine fest montierte Kamera der A-Serie von Flir Systems die Kettenfahrleitungen aufgenommen. Im Waggoninneren war ein PC mit der Software Flir Researcher zur Speicherung der Bilder ausgerüstet. “Die Kamera musste robust genug sein, um die Fahrt außerhalb des Zugs in einem Gehäuse zu überstehen, und ihre Bildwechselfrequenz musste ausreichen, um die Oberleitungen bei dieser Geschwindigkeit darstellen zu können”, sagte Millot. Die A-Serie mit 320x240 Bildpunkten, einer Bildwechselfrequenz von 60 Hz, und ausgelegt für eine Umgebungstemperatur zwischen -15 und +55 °C, erfüllte diese Kriterien. Um die heißen Stellen auf den Leitungen geographisch genau lokalisieren zu können, wurden ein Kilometerzähler und eine zusätzliche CCTV-Videokamera installiert. Die Videokamera zeigte auch an, ob heiße Stellen an den Kettenfahrleitungen durch naheliegende Wärmequellen wie Signale oder Lichter beeinflusst wurden.   Die Ergebnisse waren eindeutig: “Wir schickten Wartungsteams an die Stellen, die sich durch die Bildanalyse ergeben hatten. An manchen Stellen waren Teile der Leitungen kurz davor zu schmelzen, und hätten jeden Moment reißen können”, erinnert sich Millot. Die riesigen Mengen an Infrarotbildern müssen am PC analysiert werden. ”500 km Schienenstrecke entsprechen 21 DVDs mit Bildern”, sagt Millot. Die SNCF-Experten müssen geeignete Dringlichkeitskriterien für die Wärmeentwicklung bei Oberleitungen festlegen. Ist eine Temperaturabweichung von 5°C zulässig? Ist der Leitungsbruch eine Frage von Tagen oder Monaten? Als nächsten Schritt werden die SNCF-Ingenieure ein Werkzeug zu entwickeln haben, mit dessen Hilfe sich die Wärmebilder schnell analysieren und die gesuchten heißen Stellen lokalisieren lassen.   Das Experiment war ein Erfolg. Die SNCF hat der Entwicklung eines speziellen Testwaggons zugestimmt, mit dem die Kettenfahrleitungen ihres landesweiten elektrischen Streckennetzes untersucht werden sollen. Damit ist die französische Eisenbahngesellschaft die erste, die diese Inspektionstechnik einsetzt.    Was ist eine Kettenfahrleitung?
Eine Kettenfahrleitung ist ein System von Oberleitungen, die eine Lokomotive bzw. einen Zug mit Strom versorgen Der Strom wird über einen Stromabnehmer abgegriffen. Kettenfahrleitungen bestehen aus mindestens zwei Leitungen. Ein Tragseil, auch Kettenleitung genannt, hält den eigentlichen Fahrdraht mit senkrechten Hängern oder Verbindungsleitungen über dem Gleis. Das gesamte System ist an Masten aufgehängt und unterliegt mechanischen Spannungen. Das Bild zeigt eine Verbindung von zwei Leitungen.
    Autoren: Christiaan Maras, Marketing Flir Systems, Breda (Niederlande) und Frank Liebelt, freier Journalist, Frankfurt