Wie zeitsensitive Netzwerke industrielle Vernetzungsanwendungen harmonisieren können

Beim Besuch einer Messe mit Schwerpunkt auf industrieller Automatisierungstechnik kann man von der Vielzahl ausgestellter Systeme, Kabel und Steckverbinder überwältigt sein. Ein Teil beruht auf etablierter Technik, die es schon seit Jahrzehnten gibt. Die für die moderne Industrie-Maschinenvernetzung erforderlichen Kommunikationsschnittstellen sind jedoch noch uneinheitlich und es sind unterschiedliche Standards im Einsatz. Autor: Ariel Lasry, Chief Engineer, Toshiba Electronics Europe GmbH

  • Einsatz der ersten drei Generationen digitaler industrieller Netzwerke und die Einhaltung internationaler Standards.
    Einsatz der ersten drei Generationen digitaler industrieller Netzwerke und die Einhaltung internationaler Standards.
  • Ethernet-basierte industrielle Netzwerke sind aufgrund ihrer proprietären Layer-2- Implementierungen, die dafür ausgelegt sind, den geforderten Determinismus bereitzustellen, nicht zueinander kompatibel.
    Ethernet-basierte industrielle Netzwerke sind aufgrund ihrer proprietären Layer-2- Implementierungen, die dafür ausgelegt sind, den geforderten Determinismus bereitzustellen, nicht zueinander kompatibel.
  • Das Nachrüsten von Industrie-PCs und SPS ermöglicht die Anpassung älterer industrieller Netzwerke an neue TSN-basierte Netze.
    Das Nachrüsten von Industrie-PCs und SPS ermöglicht die Anpassung älterer industrieller Netzwerke an neue TSN-basierte Netze.
  • Der TC9562 arbeitet in Verbindung mit einem PCIe-fähigen Host-Prozessor und vereinfacht die Umsetzung von TSN-Netzwerken.
    Der TC9562 arbeitet in Verbindung mit einem PCIe-fähigen Host-Prozessor und vereinfacht die Umsetzung von TSN-Netzwerken.
  • Das TC9562- Referenzboard (links) und die Ergebnisse der TAS-Demo-Anwendung (rechts).
    Das TC9562- Referenzboard (links) und die Ergebnisse der TAS-Demo-Anwendung (rechts).

Bis Mitte der 1980er Jahre war ein Großteil der verwendeten Sensoren und Aktoren/Stellglieder analog. Systeme wie die 4-20mA-Stromschleife konnten genaue Messungen über lange Kabellängen liefern und das Endgerät mit Strom versorgen. Zusätzlich zu ihrer hohen Störfestigkeit boten sie auch ein gewisses Maß an Sicherheit, da ein Kabelbruch leicht erkannt werden konnte – unerlässlich für die sichere Umsetzung gefährlicher Prozesse. 

Einer der Nachteile dieser Technik war die Notwendigkeit, für jeden verwendeten Sensor und Aktor eine Leitung zu verlegen, was bedeutete, dass viele parallele Kabel durch Fabriken und Anlagen führten. Weniger Verkabelungsaufwand und geringere Kosten waren Ausschlag gebend für die Umstellung auf vernetzte Technologien. Diese konzentrierten sich größtenteils auf die serielle Schnittstelle (UART) kostengünstiger Mikrocontroller (MCUs) mit geeignetem Transceiver (z.B. RS-485) oder die im Automotive-Bereich etablierte CAN-Technik (Controller Area Networking).

Diese Netzwerke der ersten Generation nutzten verschiedene PHYs (Physical Layer) (OSI-Modellschicht 1) sowie unterschiedliche Link-Layer-Ansätze (OSI-Modellschicht 2), d.h. die Systeme waren selten ohne eine Art Gateway zueinander kompatibel. Die gemeinsamen Eigenschaften umfassten jedoch Robustheit – auch über Entfernungen von Hunderten von Metern, definierte Latenzzeiten, Determinismus und die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen. 

Solche Feldbusse sind weltweit in Millionen von Knotenpunkten installiert, aber ein Großteil der PHYs wurde in dieser Zeit nicht weiterentwickelt, was die verfügbare Bandbreite begrenzt. Gleichzeitig ist industrielle Automatisierungstechnik immer komplexer geworden und basiert auf datenintensiven Sensoren wie z.B. Kameras, die in Echtzeit-Regelkreise in Fertigungsumgebungen integriert werden. Mit einer Reihe der PHYs ist es auch nicht möglich, verschiedene Arten von Systemen einheitlich über dieselbe Verkabelung zu betreiben. 

Ethernet, das in Gebäuden und Fertigungseinrichtungen für die IT-Installationen bereits allgegenwärtig und etabliert ist, bietet eine große Bandbreite und eine Vielzahl von Anbietern für alles – von Steckverbindern über Kabel bis hin zu Halbleiterbausteinen. Um 2005 kamen Ethernet-basierte Lösungen auf den Markt, die sich auf einen einheitlichen PHY einigten. Der Rest des OSI-Modells wies jedoch ernsthafte Probleme in Bezug auf Latenz, Reservierung von Bandbreiten und Garantien für Zuverlässigkeit und Sicherheit auf. Daher wurden verschiedene Layer-2-Ansätze entwickelt, um diese Funktionen auf der Grundlage der physikalischen Ethernet-Schicht bereitzustellen, wobei jedoch industrielle Automatisierungssysteme wiederum Inkompatibilitäten zwischen den Lösungen der Anbieter aufwiesen.

Abkehr von proprietären Lösungen

Die industrielle Automatisierungstechnik ist nicht das einzige Marktsegment mit dem Wunsch, Ethernet zu verwenden – hat aber Bedenken, dass die technischen Spezifikationen nicht erfüllt werden. Sowohl die professionelle Audio- und Videotechnik als auch die Automotive-Fahrzeuganwendungen sind schon bereit, die Vorteile von Ethernet zu nutzen, wenn Probleme wie Latenz und Determinismus gelöst werden. Darüber hinaus hatten sich die proprietären industriellen Ethernet-Systeme der zweiten Generation auf PHYs mit 100MBit/s und die damit verbundene sperrige Verkabelung festgelegt, während andere Marktsegmente bereits mit Gigabit-Geschwindigkeiten arbeiteten.

Die Kernfragen, die die Branche davon abhält, Ethernet in einem industriellen Kontext zu verwenden, wurden seitdem in einer Gruppe gemeinsamer Standards ratifiziert, die als Time Sensitive Networking (TSN) bekannt sind. Da es sich um einen Standard handelt, können handelsübliche Lösungen (COTS; Commercial Off-The-Shelf), von Halbleitern bis zu Kabeln, miteinander interagieren, was auch auf die Nachfrage vieler Branchen außerhalb der Industrie-Automation zurückzuführen ist, die alle ähnliche Anforderungen haben. Die Standards umfassen auch die Verwendung von PHYs, die Datenraten von 1GBit/s unterstützen, sowie den Einsatz von Single-Pair-Ethernet (SPE), das den Kabelaufwand und die Kosten erheblich reduziert. 

Einige der wichtigsten TSN-Standards, die Vorteile in Bezug auf die Synchronisation und Latenz bieten, wie sie industrielle Netzwerke benötigen, sind: 

  • IEEE 802.1AS – Timing und Synchronisation für zeitkritische Anwendungen – Dieser Mechanismus teilt Synchronisationsdaten zwischen einem Grandmaster-Netzwerkknoten und allen anderen Knoten, um einen gemeinsamen Basisreferenztakt zu gewährleisten und eine gemeinsame, synchrone Zeitbasis sicherzustellen. Der Standard ist ein Profil der IEEE 1588.
  • IEEE 802.1 Qbv – Dieser Standard bietet weitere Verbesserungen, um End-to-End-Latenzen für Anwendungen sicherzustellen, indem Datenverkehr mit niedriger Priorität während definierter Zeitfenster blockiert wird. Dies unterstützt Anwendungen wie Regelkreise über Ethernet mithilfe eines Time-Aware Schedulers.
  • IEEE 802.1Qbu – Dieser Standard definiert die Preemption-Methoden in der OSI-Modellschicht 2, die den IET (Interspersing Express Traffic) der IEEE 802.3br ermöglichen. Dies soll die Latenz bestimmter Daten in einer gemischten Datenverkehrsumgebung verringern, z.B. durch Abfangen und Unterbrechen von Verkehr mit langer Dauer und niedriger Priorität.

Diese Änderungen sollten zusammen mit den Bemühungen, diese Standards in Anwendungen innerhalb des IEC/IEEE-60802-TSN-Profils für industrielle Automatisierungstechnik zusammenzuführen, dazu beitragen, die Grundlage für industrielle Netzwerke der dritten Generation zu bilden.

Industrielle Netzwerke mit TSN umsetzen 

Kompakte und hochintegrierte System-on-Chip-(SoC-)Lösungen sind ideal, um Installationen älterer Industrieanlagen zu aktualisieren und TSN zu nutzen. Der TC9562 ist ein solcher Baustein mit PCIe-Schnittstelle, der die Funktion großer SoCs in speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS) oder als Steckkarte für einen Industrie-PC erweitern kann (Bild 3). Alle wesentlichen TSN-Funktionen sind integriert – von der Zeitsynchronisation nach IEEE 802.1AS bis zum TAS (Time Aware Shaper) nach IEEE 802.1Qbv mit sechs Queues und flexibler Pufferverwaltung über alle Queues hinweg. Hardware-Unterstützung für die Gate Control List ermöglicht eine hohe Granularität für die Steuerung der im TAS definierten Zeitschlitze innerhalb eines einzigen Maschinenzyklus. IEEE 802.1Qbu und IEEE 802.3br implementieren dann die Frame-Preemption-Funktion, um sicherzustellen, dass zeitkritische Datenpakete mit Priorität vor Standard-Paketen behandelt werden.

Die für den Betrieb erforderliche Firmware wird während der Initialisierung über PCIe heruntergeladen. Dies ermöglicht auch Upgrades, wenn in Zukunft Änderungen oder Ratifizierungen TSN-relevanter Standards erfolgen (Bild 4). SGMII-, RGMII-, RMII- und MII-Schnittstellen werden unterstützt, was 10-, 100- und 1000MBit/s-Schnittstellen sowie SPE T1-PHYs ermöglicht und den wachsenden Trend zu leichterer und einfacherer Verkabelung unterstützt.

Die erste Evaluierung des Bausteins kann mit dem PCIe-Referenzboard erfolgen, das sich zusammen mit einem handelsüblichen Industrie-PC mit Fedora 27 nutzen lässt. Toshiba bietet eine Reihe von Treibern und anderen Dienstprogrammen sowie Beispielanwendungen und TSN-Demos (Bild 5). Dazu gehören Beispiele für die TAS-Funktion während des Betriebs, mit der sich die Preemption-Funktionen visualisieren und die Auswirkungen auf die Bitrate mit Standardtools wie z.B. iPerf analysieren lassen.

Mit standardisierten PHYs und Layer-2-Implementierungen für Ethernet, die den Echtzeitanforderungen der industriellen Automatisierungstechnik genügen, kann gefragt werden, was von industriellen Netzwerken der vierten Generation zu erwarten ist. Wie in anderen Branchen werden sich auch die höheren Schichten im OSI-Modell in Richtung Standardisierung bewegen. Organisationen wie die OPC Foundation haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die sich mit der Kommunikation auf Feldebene (FLC; Field Level Communication) befasst – mit dem Ziel, ein OPC-UA-Kommunikationsprotokoll (Unified Architecture) von Maschine zu Maschine zu erstellen. Dieser offene, plattformübergreifende Ansatz zusammen mit seiner robusten Sicherheit hat das Potential, viel der Komplexität, mit der Entwickler heute konfrontiert sind, zu vereinfachen. Die Installation neuer Ausrüstung würde lediglich erfordern, dass die Maschine ihre Fähigkeiten (z.B. für einen Roboter seine Freiheitsgrade, maximale Nutzlast usw.) mittels einfacher und standardisierter Datenstrukturen deklariert, damit andere Systeme dessen Funktionen und Fähigkeiten verstehen und in die auszuführende Aufgabe integrieren können.

Fazit

Während Ethernet damit begonnen hat, viele der traditionellen Netzwerke in der industriellen Automatisierungstechnik auf der physikalischen Ebene zu verdrängen, haben unterschiedliche proprietäre Layer-2-Implementierungen, mit denen die traditionellen Schwächen von Ethernet für die Zielanwendung überwunden werden sollen, die Akzeptanz von Ethernet eingeschränkt. Mit der Einführung von TSN wird die erforderliche Standardisierung umgesetzt, um die Interoperabilität von Ausrüstung verschiedener Lieferanten sicherzustellen, was auch die Kosten senkt. Bausteine wie der TC9562 sind sofort einsatzbereit, unterstützen Open-Source-Software-Implementierungen und bilden damit eine hervorragende Grundlage für den Übergang auf TSN-fähige industrielle Netzwerke.