Gute Ideen brauchen Förderung und einen langen Atem

Ein Interview mit Georg Stawowy, Vorstand für Technik und Innovation bei der Lapp Holding AG

  • Georg Stawowy, Vorstand für Technik und Innovation bei der Lapp Holding AG
    Georg Stawowy, Vorstand für Technik und Innovation bei der Lapp Holding AG
  • Für transformative und disruptive Innovationen nutzt LAPP den iterativen Innovation for Future Prozess
    Für transformative und disruptive Innovationen nutzt LAPP den iterativen Innovation for Future Prozess
  • Verbessert die Performance von Maschinen und Anlagen und spart Kosten: vorausschauende Wartung, neudeutsch Predictive Maintenance
    Verbessert die Performance von Maschinen und Anlagen und spart Kosten: vorausschauende Wartung, neudeutsch Predictive Maintenance

IEN D-A-CH: Innovation steht aktuell als wichtiges Thema bei Firmen aus den verschiedensten Bereichen hoch im Kurs. Wie sehen Sie das Thema bei Lapp? Kabel scheinen da auf den ersten Blick nicht sehr viel Potential zu bieten.
Stawowy: Was man zuerst einmal feststellen kann, Lapp ist ja noch kein sehr altes Unternehmen, es besteht seit 60 Jahren. Aufgebaut ist der Erfolg auf der Entwicklung der ÖLFLEX-Leitung, die zur damaligen Zeit schon ein sehr innovatives, disruptives Produkt war und viele Abläufe in der Industrie verändert und vereinfacht hat. Bis dahin wurde ja noch ausschließlich mit Einzeladern und entsprechend hohem Aufwand bei der Verdrahtung gearbeitet. Durch diesen Start war Innovation beim Firmengründer Oskar Lapp – der ja auch viele Patente angemeldet hat – und der ganzen Familie Lapp von Anfang an ein wichtiges Thema, was auch auf das gesamte Unternehmen abgefärbt hat und sich schon seit mehr als 20 Jahren im offiziellen Lapp-Wertekanon niederschlägt. Damit waren wir auch sehr erfolgreich. Wir haben aber gemerkt, dass unsere bestehenden Prozesse nicht optimal sind, wenn es um die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und die Generierung von digitalem Mehrwert geht. Das ist etwas völlig anderes als die Weiterentwicklung eines Kabels. Beim Kabel ist die Grundfunktion, Strom oder Daten von A nach B zu bringen, klar definiert und die Grenzen sind von der Physik vorgegeben. Das ist bei neuen Geschäftsmodellen und digitalen Mehrwerten natürlich anders – da gibt es diese Beschränkungen nicht, und deshalb gibt bei diesen Themen viel mehr Unsicherheit. Für die Stärkung unserer Innovationsfähigkeit haben wir deshalb in den letzten 5 Jahren eine Menge neuer Verfahren und Tools eingeführt. Innovationen sollen aber nicht nur in der Produktentwicklung, sondern im gesamten Ein Interview mit Georg Stawowy, Vorstand für Technik und Innovation bei der Lapp Holding AG Unternehmen stattfinden, und wir müssen in der Lage sein, auch Themen voranzutreiben, bei denen zunächst Unsicherheit herrscht. Wir müssen Neuland betreten können. Wichtig ist dabei immer, dass wir guten neuen Ideen erst einmal Raum zur Entwicklung geben, diese dann aber rechtzeitig in effektive Prozesse für die Umsetzung überführen können.

IEN D-A-CH: Wie sind denn da Ihre Erfahrungen, gerade wenn es darum geht, Änderungen in den Prozessen breit auszurollen? Veränderung ist ja immer auch in gewissem Maße eine Zumutung für die Betroffenen.
Stawowy: Ich glaube, wir stehen hier noch am Anfang. Wir haben sicher noch nicht alle Mitarbeiter auf den gleichen Stand bringen, alle Standorte weltweit auf dem gleichen Niveau einbinden können. Diese Art kulturellen Wandel zu erreichen, braucht viel Zeit und eine intensive interne Kommunikation. Natürlich braucht es für solche Entwicklungen einen gewissen Anstoß durch das Management und die Bereitstellung von Ressourcen. Da die Mittel aber wie immer im Leben begrenzt sind, kann es sich nur um Kristallisationspunkte handeln, von denen die Entwicklung ausgeht. So haben wir z. B. vor 2 Jahren den ersten „Design Thinking“ Workshop mit der Firma Launch Labs veranstaltet, um in das Thema einzusteigen. Inzwischen haben wir 3 interne Spezialisten, die das Thema mit viel Spaß und Erfolg weiterverbreiten. Diese begeisterten Multiplikatoren braucht man, um in einer größeren Organisation die benötigte Eigendynamik erreichen zu können, ohne die eine Weiterentwicklung nicht möglich ist.

IEN D-A-CH: Wie stellen Sie sicher, dass technologisch neue Themen, die am Markt (noch) nicht nachgefragt werden, ihr Potential ausschöpfen können? Zuletzt konnten Sie ja sicher beim Thema Gleichstromleitungen einige Erfahrungen sammeln, was dies angeht?
Stawowy: Da braucht man definitiv Durchhaltevermögen. Als das Thema DC-Leitung zum ersten Mal bei uns diskutiert worden ist, meinten 8 von 10 Leuten am Tisch, das sei kein relevantes Thema. Weil es für das Kabel keinen Unterschied macht, welche Spannungsart durchgeleitet wird. Bei genauerer Beschäftigung mit dem Thema haben wir gesehen, dass das Thema auf wissenschaftlichen Konferenzen eben doch diskutiert wird, und dass die mögliche Energieeinsparung ein wichtiges Argument war. Und es gab auch erste Use-Cases, wie die Versorgung abgelegener dörflicher Strukturen in Indien oder die Rekuperation im Maschinenbau. Eine Kundenanfrage zum Thema gab es zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Aber wenn man so ein Thema als wichtig identifiziert hat, muss man es mit Disziplin weiterverfolgen, um es zum Erfolg bringen zu können und am Ende gehört auch ein wenig Glück dazu. Übrigens reagieren Isolationsmaterialien durchaus anders auf Gleichstrom, Sie können nicht unbedingt den gleichen Kunststoff verwenden wie bei Wechselstrom. Es macht also doch einen Unterschied für das Kabel. Das haben wir aber auch erst herausgefunden, indem wir uns systematisch und wissenschaftlich mit dem Thema auseinandergesetzt haben.

IEN D-A-CH: Und wie ist die aktuelle Situation nach der Einführung der ersten Serienprodukte?
Stawowy: Wir sind sehr zufrieden. Auf der Hannover Messe haben wir am Gemeinschaftsstand „DC Industrie“ ein Exponat mit zwei Sechsachs-Robotern gezeigt. Dort konnte demonstriert werden, wie in dem Lastkollektiv, das durchlaufen wurde, 20 % Energie­einsparung erzielt werden konnte. Das ist natürlich ein Wert, der nicht nur im Zusammenhang mit der Klimaschutzdiskussion aufhorchen lässt. Wenn sich nur durch Effizienzsteigerung 20 % Einsparung erzielen lassen, dann ist das ein beachtlicher Wert und eine Kosteneinsparung, die man nicht ignorieren kann. Das Thema ist sicher kein Selbstläufer, aber wir sind überzeugt davon, dass unsere Zielkundschaft wie der Maschinenbau und deren Endkunden, z.B. im Automotive-Bereich sich verstärkt in Pilotanlagen mit dem Thema auseinandersetzen werden.

IEN D-A-CH: Wie sehen Sie Lapp denn zurzeit aufgestellt, wenn es um das Thema digitale Geschäftsmodelle und Online-Vertriebskanäle geht? Was sind die nächsten Entwicklungen und Schritte, die Sie in diesem Bereich gerne umsetzen würden?
Stawowy:
Grundsätzlich ist Lapp in Deutschland beim Thema Webshop gut aufgestellt und hat schon über viele Jahre Erfahrungen sammeln und Kompetenzen aufbauen können. Wo wir aber bisher nicht so gut aufgestellt sind, ist die Durchgängigkeit. In anderen Ländern ist der Shop zum Teil auf einer technisch komplett anderen Lösung aufgebaut. Das erklärt sich aus der Historie, denn Lapp hat immer auf lokales Unternehmertum und hohe Eigenständigkeit Wert gelegt. Beim Thema Plattformökonomie ist das aber kein gangbarer Weg mehr. Ländergrenzen sind weder technisch noch bei der Preisgestaltung länger von Interesse und Transparenz wird ein wichtiges Thema. Auch das Thema Datenqualität wird enorm wichtig, und die Genauigkeit der Beschreibung aller Produkteigenschaften ist für die digitale Nutzung noch wichtiger als bisher schon. Wir haben eine eigene digitale Vertriebseinheit gebildet, die sehr aktiv ist, um die Funktionalität des Webshops weiter zu erhöhen. Bis zu diesem Punkt reden wir ja nur über die Schnittstellen zu unseren Kunden. Interessant wird es ja auch, wenn es um die Digitalisierung der gesamten Supply-Chain geht, z. B., wenn die Kundenanfrage automatisch in die Forecasts der Produktion einfließt. Wir arbeiten strukturiert an verschiedenen Pilotprojekten in den Fabriken, um die Digitalisierung voran zu treiben, aber es bleibt eine große Aufgabe für uns.

IEN D-A-CH: Sie haben ja eine sehr große Kundenvielfalt. Wie sind denn die Bedarfe von Kunden aus verschiedenen Bereichen an Sie, wenn es um die Digitalisierung geht?
Stawowy:
Lapp verfolgt den Ansatz, alle Kunden über den jeweils gewünschten Vertriebskanal zu bedienen. Das geht vom kleinen Elektrohandwerker mit drei Angestellten bis zum Automobilhersteller und großen Maschinenbauer. Wir bedienen aber auch das Projektgeschäft, wenn es etwa um den Aufbau einer großen Windkraftanlage in Thailand geht. Das macht die Anforderungen an uns äußerst vielfältig. Unser Ziel ist, dass alle über einen digitalen Vertriebskanal bedient werden können, wenn sie es wünschen – das kann unser klassischer Webshop sein, oder das können Schnittstellen wie EDI oder OCI sein. Damit dies klappt, gibt es zum Beispiel mit myLapp einen spezifischen Webshop Log-in, der die Bereitstellung spezifischer Inhalte und Produkte gewährleistet. Dieser Trend zur Individualisierung über Produktkonfiguratoren wird sich mit Sicherheit fortsetzen. Wichtig wird bei diesen Prozessen immer die Modularisierung der Leistungen sein, um ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis für den Kunden zu gewährleisten. Das Produkt soll so individuell werden wie es der Kunde benötigt und so einfach wie möglich in der Produktion sein, damit es bezahlbar bleibt.

IEN D-A-CH: Im Augenblick geht der Trend auch in der Industrie hin zur drahtlosen Übertragung. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Stawowy: Zuerst einmal muss man bei dieser Entwicklung ja die Unterscheidung nach Daten oder Leistung treffen. Die Beurteilung der Lage ist da differenziert. Die drahtlose Übertragung von Strom ist physikalisch möglich und wird in einigen Bereichen sicher auch kommen. Das Laden von Autos ist normiert und bei einigen Herstellern bereits bestellbar. Die Grenzen in Bezug auf Verluste und auch auf Bioverträglichkeit sind aber beträchtlich. So sollte Ihre Katze nicht durch das induktive Feld laufen und auch die Präsenz im direkten Arbeitsumfeld eines Menschen wäre problematisch. Trotz der technischen Machbarkeit wird daher aus meiner Sicht die drahtlose Übertragung von Leistung auf absehbare Zeit sich nicht in der Breite durchsetzen. Bei den Daten ist dies anders. Die drahtlose Datenübertragung ist für viele Anwendungen extrem attraktiv, zum Beispiel für mobile Maschinen, und entsprechend sind die Wachstumsraten sehr stark. Bioverträglichkeit ist zwar ein Thema, aber ein untergeordnetes. Eine viel größere Rolle spielen hier Themen wir Latenz, Zuverlässigkeit und Datensicherheit. Drahtlose Funkstrecken werden mit Sicherheit stark zunehmen, aber wenn es um Themen wie Richtlinien für die Maschinensicherheit geht, bleibt das Kabel weit vorne. Es ist auf Dauer einfach, sicher und hoch zuverlässig. Am Ende wird dies das Argument für die Produktion sein. Wie sich das Thema 5G auswirken wird, bleibt abzuwarten. Lapp ist offen für alle Technologien und wir werden natürlich Kompetenzen aufbauen, um unsere Kunden bei den entsprechenden Entscheidungen zwischen kabelgebundenen und -losen Lösungen kompetent beraten zu können – und da, wo es sinnvoll ist, setzen wir für unsere Kunden auch heute schon Drahtloslösungen um.